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BeitragVerfasst: Mo, 07 Mär, 2011 12:51 
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Beiträge: 25
Dritter Teil der "Fazit-Trilogie" meines Schwedenaufenthaltes. Hier der Einfachheit halber die Links zu
- Teil 1
- Teil 2

Fast sah es am Anfang des letzten Drittels so aus, als könnte es ein viertes Drittel oder gar eine "Daily Soap" werden. Meine Firma bot mir eine Verlängerung um weitere 6 Monate und eine lokale schwedische Anstellung an. Allerdings habe ich mich nach reiflicher Konsultation mit meiner Familie entschieden, weder das eine noch das andere anzunehmen.
Das zu erklären, ging hier wohl zu weit und mir ist bewusst, dass der eine oder andere schweden-liebhabende Auswanderungsträumer jetzt völlig verständnislos den Kopf schüttelt, weil er vielleicht genau auf solch ein Angebot seit langem wartet. Wie dem auch sei, ich habe es ausgeschlagen und damit im September 2010 vollendete Tatsachen geschaffen. Es bleibt also eine Trilogie und dies hier ist die letzte Folge.

Ein weiteres Highlight im September war die Wahl, bei der ich zumindest kommunal mitstimmen durfte. Ich hab es auch getan. Das Ergebnis vor allem der Wahl des Riksdag war dann wohl doch ein kleiner Aufreger, obwohl es lediglich den Umfragen entsprach. Insofern war es für mich kein Thema mit Blutdruck. Ich gehöre ohnehin schon seit einiger Zeit zu den Menschen, die das politische Tagesgeschehen des so genannten Establishments für Marionetten-Theater halten. Schlechte Politik-Schauspieler hängen an den Fäden von Lobbyisten und Interessenvertretern und hampeln uns was vor, während Backstage die Dinge von Leuten "geregelt" werden, die sich zu keiner Wahl zu stellen haben. Dass unter solchen Umständen Parteien zu signifikanten Stimmenzahlen kommen, die nicht zum Establishment gehören und daher meist radikaler sind, sollte niemanden überraschen. Das Establishment wird danach versuchen, sie durch Ächtung in ihre Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen oder bei Mißerfolg dieses Treibens hernach damit beginnen, sie in ihren von Korruption und Filz verdorbenen Club aufzunehmen und damit zum Teil des Theaters zu machen. Erstes konnte man bei verschiedenen rechtsradikalen Parteien in Deutschland beobachten, letzteres läuft erfolgreich bei der Linkspartei. Die schwedische Politik lässt identische Verhaltensmuster erkennen.
Das grundsätzliche Problem der Demokratie westlicher Prägung, welche man getrost als Diktatur von Banken und Konzernen bezeichnen kann - Corporatocracy wird es in einem bisher nicht in deutsch verfügbaren Wikipedia-Artikel genannt - bleibt ungelöst.

Im Oktober kam dann meine Familie zu Besuch und wir hatten Glück, dass wir das letzte wirklich sonnige Wochenende des Jahres für Ausflüge in die kühle und inzwischen wieder weitgehend ruhige schwedische Natur unternehmen konnten. Das waren ein paar schöne Tage, die uns nochmal über die Entscheidung des September nachdenken ließen. Revidiert haben wir sie aber nicht, dazu gab es keinen Anlass. Ich gehöre nicht zu den wankelmütigen Leuten, die jeden Tag ihre getroffenen Entscheidungen erneut auf den Prüfstand stellen und ändern. Entscheidungen sind dazu da, dass man sie fällt und mit ihren Konsequenzen lebt. Richtig oder falsch gibt es bei solch grundlegenden Weichenstellungen ohnehin nicht, weil man die Ergebnisse möglicher Alternativentscheidungen im Nachhinein nicht beurteilen kann.

Der November und die Zeit, bis endlich die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet wird, ist wohl die deprimierendste hier im Norden - anderswo aber mitunter auch. Irgendwann war aber der Weihnachtskommerz ausgebrochen, Lotta Engberg flötete im lichtgeschmückten Liseberg und die Jingle-Bells-Maschine schepperte wieder. Die Göteborgs Lucia wurde auch wieder gewählt. So schön die Mädels auch singen - mehrstimmiger Satzgesang dieser Art ist wahrlich nicht einfach - sie singen gemeinsam und man kann seine Entscheidung für eines der Blondchen nur an der Frage festmachen, welche am besten gefällt. Irgendwie habe ich die allgegenwärtigen Feministinnen vermisst, die gegen den subtilen Sexismus dieser von Tradition ummantelten Miss-Wahl demonstrieren. Außerdem sollte die schwedisch-obligatorische Gleichberechtigung der Geschlechter ja auch eine Mister-Wahl bedingen - vielleicht einen Göteborgs Lucifer aus der Mitte der Unzahl langhaariger Heavy-Metal-Ritter, die ansonsten mit leicht grimmiger Miene durch die Gegend schlürfen und irgendwie nach "no future, God is dead" aussehen. Nur wenn man sie anspricht, bemerkt man oft, dass es sich eher um arme Kreaturen handelt, die sich nicht in das gleichmäßige Einheitsgrau der schwedischen Gesellschaft fügen wollen. Aber irgendwann kriegen sie jeden. Dann werden die Haare kürzer und der graue Volvo oder Saab steht vor der Tür.

Weihnachten und Silvester habe ich mit Freude bei und mit meiner Familie verbracht. Das ganze endete dann mit dem traditionellen Heißluftballonfestival im Tannheimer Tal in Österreich, wo wir fast jedes Jahr mit unserem Ballonteam aus Schwäbisch Hall sind. Dieses Jahr habe ich dort mit dem Team auch meinen 40. Geburtstag gefeiert - mit einer schönen Ballonfahrt über die Alpen ins Allgäu hinein.
Dann startete die letzte Etappe in Schweden. Die allgemeine Situation bei meinem Arbeitgeber Ericsson ist leider vom zunehmenden Niedergang des Geschäfts durch die chinesische Konkurrenz gezeichnet und es gibt immer die gleiche Antwort darauf - Stellenabbau. Der viel gepriesene Fachkräftemangel geht deshalb vollständig an meinem Arbeitgeber vorbei. Da läuft seit einiger Zeit die nächste Entlassungswelle und dem geschuldet ist man auch wenig begeistert, dass ich aus Schweden zurück nach Deutschland komme.

Doch so ganz ohne Highlight sollte die Zeit dann doch nicht zu Ende gehen. Es waren nur noch wenige Wochen bis zur Abreise - Ende Februar - da entdeckte ich im Internet, dass einige Freunde des Geocaching - ein Hobby, welchem ich ebenfalls fröne - zu einem Treffen am Gustav-Adolfs-Torg eingeladen hatten. Wer jetzt nicht weiß, was Geocaching ist, fragt Wikipedia oder akzeptiert diese kurze Erklärung: Leute mit handlichen Satellitenempfängern suchen kleine Plastikdosen (Geocache) anhand ihrer GPS-Koordinaten, welche zuvor von anderen solchen Leuten irgendwo versteckt wurden, um sich in ein enthaltenes Logbuch einzutragen. Die Daten der Verstecke werden über das Internet ausgetauscht.
Ich bin also zu diesem Treffen gegangen. Es war nicht mein erstes, aber ich war bei früheren Treffen dieser Art immer Außenseiter geblieben - die bereits beschriebene schwedische "Kontaktschwäche". Meine Erwartungen waren also entsprechend gering. Allerdings hatte ich schon bei meiner Ankunft in Schweden beschlossen, dass der Verstecker des erinnerungswürdigsten Geocache am Ende meiner Zeit von mir ein kleines Geschenk bekommen sollte. Die Entscheidung für diesen Cache war längst gefallen und ich fragte bei meiner Ankunft am Treffpunkt, ob denn jemand mit dem Alias "Ninjatummen" anwesend sei. Tatsächlich - eine junge IT-Studentin meldete sich und ich teilte ihr mit, dass sie eben diesen für mich erinnerungswürdigsten Cache versteckt habe. Nach meiner kurzen "Ansprache" schenkte ich ihr eine von mir entworfene Geocoin (im Internet verfolgbare Geo-Münze) mit Motiven meiner Heimatstadt Schwäbisch Hall. Danach waren sie und ihre ebenfalls anwesenden Bekannten so aus dem Häuschen, dass ich getrost davon sprechen kann, mit dieser Aktion das dicke schwedische Anti-Kontakt-Eis mit lautem Krachen gebrochen zu haben. Der Abend endete damit, dass ich einen Haufen netter Schweden kennengelernt habe, die nun alle am liebsten sofort mal nach Schwäbisch Hall reisen möchten um mit mir gemeinsam dort ebenfalls Dosen zu suchen. Mal sehen, ob das tatsächlich eines Tages passiert. Mit dieser plötzlichen Wende in meinem schwedischen Kontaktleben hätte ich nicht mehr gerechnet, aber es zeigt sich, dass es nicht unmöglich ist. Man kann es wohl nicht erzwingen, aber es scheint so zu sein, dass es eines sehr besonderen Anlasses bedarf, um durch die Mauer zu brechen, die nahezu jeden Schweden umgibt. Erwischt man diesen Moment, dann hat man die Chance, ausgesprochen liebenswürdige Menschen kennenzulernen, unter deren kühler und etwas harter Schale ein durchaus warmer und weicher Kern steckt. Schade, dass es bei mir so lange gedauert hat und de facto erst des nahen Abschiedes bedurfte.

So ist es Zeit, ein finales Fazit zu ziehen. Es waren 18 (oder eigentlich fast 20) interessante Monate in Schweden, in denen ich das Land und die Menschen ein wenig kennenlernen durfte. Nun gibt es ein weiteres Land, wo ich sicher gern mal wieder sein werde. Auch dieses war leider keines, in dem ich für immer bleiben würde. Wieder einmal gilt - jeder Platz auf der Welt hat Vor- und Nachteile und keiner ist ein Paradies. Man entscheidet sich für einen und lebt mit den Vor- und Nachteilen. Um irgendwo zu Hause zu sein, braucht es Familie und Freunde, das kann also prinzipiell überall sein. Wenn man aber diesen Punkt all zu oft verschiebt, wird man nirgendwo zu Hause sein. Das war letztlich der Grund, mich gegen ein Auswandern nach Schweden zu entscheiden.

Ich werde das Forum jetzt mit diesem Fazit allein lassen, denn ich muss Kisten packen und nach Hause schicken. Meine Zukunft liegt irgendwo und wird sich finden. Ich danke allen, die hier mit Interesse mitgelesen haben und wünsche Euch eine schöne Midsommar-Feier im Juni.

Ha det så bra!
:hey:

_________________
Wenn der Klügere immer nachgibt, regieren die Dummen...


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BeitragVerfasst: Mo, 07 Mär, 2011 15:20 
danke für das (mit)teilen deiner erlebnisse!


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BeitragVerfasst: Mo, 07 Mär, 2011 15:30 
danke für deinen Bericht und alles gute für die Zukunft


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BeitragVerfasst: Mo, 07 Mär, 2011 23:13 
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Registriert: 15.09.2004
Beiträge: 17598
Plz/Ort: Schweden, Norrlands Schärengarten
Ich denke, alle, die mit unverklärten Augen durchs Leben gehen, werden deine Entscheidung, Schweden als Lebensmittelpunkt den Rücken zu kehren, überhaupt nicht anzweifeln, sondern verstehen. Ich persönlich mag Leute, die zu ihren Entschlüssen stehen :perfekt: Ich treffe meine Entscheidungen ungefähr nach den gleichen Kriterien. Kann ich mit den Konsequenzen leben, so habe ich immer den richtigen Entschluss gefasst. Perfekt :perfekt: Die Erfahrungen aus meinen Entschlüssen helfen mir, mich weiterzuentwickeln. Genauso wie dir deine. :YYBP: Und daran kann nichts falsch sein :YYAV:
Alles Gute für dich und deine Familie und vielen Dank, dass wir dich hier ein Stück in deinem Leben begleiten durften :rosen:

:YY:

_________________
Det ska va gött å leva annars kan det kvitta....
http://www.youtube.com/watch?v=E0Aj37ml8QI
Signatur ©


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BeitragVerfasst: Di, 08 Mär, 2011 1:09 
ich wuensche auch alles gute fuer die zukunft toi toi toi
birgit


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BeitragVerfasst: Di, 08 Mär, 2011 8:11 
Danke für Deine Geschichte - und ich halte mit lis. Ich mag Leute, die zu ihren Entscheidungen stehen. :YYBC:

Ich wünsche Dir, dass es weiterhin gut für Dich läuft. Egal ob in :sflagge: oder :dflagge: .

Ha det så bra! :YY:


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